Erstsemesterbegrüßung der Orientierungseinheit im Wintersemester 2014/2015

 

Hallo,

mein Name ist Eric Recke und ich bin vom Fachschaftsrat Soziale Arbeit.

Der Fachschaftsrat ist die politische Interessensvertretung aller Mitglieder einer Fachschaft.

Wir möchten Euch als neue Mitglieder der Hochschule und damit auch als Mitglieder der Fachschaft Soziale Arbeit begrüßen – Alle die sich einklagen eingeschlossen.

Als Mitglieder einer Hochschule seid ihr nun Teil einer wissenschaftlichen Gemeinschaft und damit selbst Wissenschaftler.

Das heißt aber nicht, dass wir uns kleingeistig etwas darauf einbilden könnten, erfolgreich einen der viel zu wenigen Studienplätze ergattert zu haben.

Das wir es durch "gutes Konkurrieren geschafft hätten" und andere nicht, weil sie schlechte Noten, zu wenig Geld oder die falsche Hautfarbe haben.

Es gilt stattdessen weiterhin, was Bertolt Brecht im Einheitsfrontlied dichtete:

"Und weil der Mensch ein Mensch ist,

drum hat er Stiefel im Gesicht nicht gern!

Er will unter sich keinen Slaven sehn,

und über sich keinen Herrn."

Alle Menschen sind einander gleich und die vermeintlichen Wissens- und Leistungsunterschiede entspringen vor allem unserer sozialen Lage und nicht individueller Genialität oder Konkurrenzstärke.

Deswegen sollten wir nicht auf andere Herabschauen und auch nicht zu anderen unterwürfig hinaufschauen, sondern allen Menschen als Gleiche gegenübertreten und uns gemeinsam gegen jede Unterdrückung und jeden Gehorsam wenden.

Denn die soziale Ungleichheit ist so groß wie noch nie zuvor in der Menschheitsgeschichte.

Auf der einen Seite stehen fast sechs Milliarden Menschen, die größtenteils prekär lebend, kaum Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung nehmen oder nehmen können und in großer Zahl vereinzelt, anonymisiert und mit wenig Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer Lage leben.

Eine Milliarde davon hungert, obwohl wir nach Jean Ziegler heute bereits jeden Menschen auf der Welt zweieinhalb Mal ernähren könnten, aber stattdessen für die Geschäftemacherei Essen lieber verbrannt wird als Hungernde damit zu sättigen.

Auf der anderen Seite stehen Wirtschaftsbosse, Großbänker, Politiker, Generäle, Top-Journalisten, Polizeipräsidenten - und elitäre Professoren, welche die soziale Ungleichheit als natürlich und deshalb als unveränderbar propagieren.

Diese beiden Seiten stehen sich unvereinbar gegenüber, denn das würdelose Leben der Mehrheit ist die Bedingung für das dekadente und nicht weniger würdelose Leben dieser elitären Minderheit.

Oder wie ebenfalls Brecht es im Kindergedicht "Alfabet" formulierte:

"Reicher Mann und armer Mann
Standen da und sahn sich an.
Und der Arme sagte bleich:
Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich."

Die Ansprüche der großen Mehrheit der Bevölkerung an ein menschenwürdiges Leben, das heißt:

genussvolles Essen, saubere und warme Kleidung, eine geheizte Wohnung, solidarische Beziehungen, nicht entfremdete Arbeit, Gesundheit, ästhetische Kultur und fördernde Bildung können aktuell nur noch gegen das Festkrallen der Minderheit am "status quo" durchgesetzt werden.

Denn dieses Festkrallen geht von der Unterdrückung durch menschenverachtende Ideologien über Verwaltungstechnokratismus und Polizei bis zum Krieg und dem Schüren von Völkerhass.

Da sich aber viele Menschen zur Zeit noch im Angesicht von Lohnarbeit, hohen Preisen und Mieten, niedrigen Löhnen sowie eisiger Umgangskultur und unehrlicher Bezugnahme schwer vorstellen können, gemeinsam gestaltend und schöpferisch in die gesellschaftliche Entwicklung einzugreifen und damit in den Widerspruch zu eben diesem "status quo" zu gehen, befinden wir uns in einer zivilisatorischen Krise.

Antonio Gramsci sagte dazu: "Die Krise besteht just darin, daß das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann."

Das Neue kann dabei vor allem deswegen nicht zur Welt kommen, weil wir uns noch nicht genug trauen unsere Lebenswünsche und Vorstellungen von einer Gesellschaft zu artikulieren, in der der Mensch dem Menschen ein Freund ist, um andere zu ermuntern dies einem gleich zu tun oder wie Gramsci ebenfalls formulierte:

Man wird sagen, es sei recht wenig, was das einzelne Individuum seinen Kräften gemäß zu ändern vermag. Was nur bis zu einem gewissen Punkt stimmt. Denn der einzelne Mensch kann sich mit all denen zusammenschließen, die dieselbe Veränderung wollen, und wenn diese Veränderung vernünftig ist, kann der einzelne sich in einem imponierenden Ausmaß vervielfachen und eine Veränderung erzielen, die viel radikaler ist, als es auf den ersten Blick möglich erscheint.“

Aufgabe aller Wissenschaftsbereiche, also auch der Sozialarbeitswissenschaft ist vor diesem Hintergrund zu erkennen, was richtig und was falsch ist, um darüber aufzuklären und dadurch positive gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen und zu verallgemeinern.

Für unsere Wissenschaft, die unter anderem die Formen der sozialen Ungleichheit kontrollieren und verwalten soll, stattdessen aber für die Überwindung ihrer Ursachen streiten muss.

Hauptmerkmal aller Hochschulen ist dabei die antifaschistisch erkämpfte und grundgesetzlich verankerte Freiheit der Wissenschaft als Lehre aus dem Faschismus.

Die 68er Studentenbewegung zog daraus die schon 1945 nach der Befreiung vom Faschismus geschlussfolgerten Konsequenzen für eine Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung und setzte diese an den Hochschulen größtenteils durch:

Die Hochschulen sollen sozial offen sein, um allen zu ermöglichen, sich zu verwissenschaftlichen und elitäre Ideologien sowie Wissenschaftsinhalte zu bekämpfen.

Sie sollen demokratisch verfasst sein, um den Meinungsstreit als Wahrheitsfindung in der Wissenschaft zu ermöglichen und zu befördern.

Und sie sollen ausschließlich für Frieden, sozialen Fortschritt und internationale Solidarität lernen, lehren und forschen.

Diese Erkenntnisse und Errungenschaften werden seit den 90er Jahren zurückgedrängt von Unternehmenslobbyverbänden wie dem Bundesverband der deutschen Industrie, dem Bertelsmann-Konzern sowie in Hamburg vor allem von der Handelskammer.

Diese üben Druck auf die Politik aus, dass ein Studium für das fabrikmäßige Ausstoßen verwertbarer Arbeitskräfte billiger, schneller und berufsorientierter sein soll, was CDU, FDP und Schill-Partei-Senate bisher untertänig befolgt haben.

Auch der jetzige SPD-Senat führt, obwohl er für etwas anderes gewählt wurde, die neoliberale Politik der sozialen Ignoranz und der Unternehmenshörigkeit nur in leicht gemäßigter Form – fort.

Und mit der AfD müssen wir im Februar eine nationalchauvinistische, sozialdarwinistische und marktradikale Partei daran hindern in die Bürgerschaft zu kommen und dort einen noch rechteren Kurs zu fahren.

Inhalt dieser Politik waren im Hochschulbereich die Einführung von allgemeinen Studiengebühren, des Bachelor-/Master-Studiums sowie der unternehmerischen Hochschule, in der Forschungsergebnisse und HochschulabsolventInnen auf maximale Verwertbarkeit getrimmt werden sollen.

Dagegen gab es große gesellschaftliche Proteste durch Studierendenbewegung, Hochschulmitglieder, Gewerkschaften und weitere Aktive, wodurch zuerst die sozial selektiven Studiengebühren wieder abgeschafft werden konnten.

Durch die Reformierung des Hamburgischen Hochschulgesetzes konnten die Hochschulen dann – besonders durch studentische Kritik – gegen die Bockigkeit der SPD etwas ihrer demokratischen Verfassung zurückerobern, was in der nächsten Amtsperiode noch deutlich mehr vorangetrieben werden muss.

Dabei steht die Erweiterung der demokratischen Entscheidungsrechte aller Hochschulmitglieder, also auch der Studierenden auf der Tagesordnung, um wieder mitbestimmen zu können, wie wir lernen und studieren wollen.

Aktuell durch die Wiedereinrichtung des Fachbereichsrates, als demokratische Selbstverwaltung unseres Fachbereiches.

Die Fachschaft sind dabei alle Studierenden, der Fachbereich noch zusätztlich Technisches- und Verwaltungspersonal, Wissenschaftliche MitarbeiterInnen und ProfessorInnen.

Diese vier Mitgliedergruppen sind Namensgeber der demokratischen Gruppenhochschule, in der alle Gruppen gleichberechtigt über Inhalt von Lehre und Forschung entscheiden, was die HAW mal mehr war und wieder vollständig werden muss.

Das letzte Überbleibsel der neoliberalen Politik ist das Bachelor-/Master-System:

Verschult, beengt, Schmalspurstudium, entsolidarisierend und konkurrenzschürend sind noch die freundlicheren Kennzeichnungen für dieses Chaos von hetzenden Prüfungen, aufreibender Notenkonkurrenz, sinnlosen Fristen, unzusammenhängenden Modulhäppchen und Exmatrikulationsdrohungen.

Es wird sich sogar erdreistet, Anwesenheitslisten zu führen, um auch die weltfremden und stinklangweiligen Seminare und Vorlesungen vollzukriegen.

Soldarisches Lernen und interessengeleitetes Studium werden so stark behindert, was unter anderem in Konkurrenz um die wenigen Masterplätze zum Ausdruck kommt.

Dagegen wird seit Einführung und besonders scharf seit dem bundesweiten Bildungsstreik 2009 die Abschaffung von BaMa gefordert.

Statt den Unternehmensanforderungen, die mit diesem System erfüllt werden sollten, muss es in Zukunft eine bedarfsdeckende Anzahl von Bachelor- und Masterstudienplätzen geben, die Regelstudienzeit muss wieder zur Mindeststudienzeit werden und die Prüfungen müssen reduziert werden – mit dem Ziel sie abzuschaffen.

Oder was Kurt Tucholsky als Anspruch an ein Studium formuliert:

"Ich möchte Student sein, um mir einmal an Hand einer Wissenschaft langsam klarzumachen, wie das so ist im menschlichen Leben. Mit welchem Resultat könnte man studieren, wenn man nicht es mehr müßte! Wenn man es will! Wenn die Lehre durch weitgeöffnete Flügeltüren einzieht, anstatt durch widerwillig eingeklemmte Türchen, wie so oft in der Jugend!"

Für eine Studienreform in diesem Sinne einzugreifen, erfordert, dass sich mehr Menschen an den Gremien der akademischen Selbstverwaltung sowie der studentischen Interessensvertretung beteiligen, wie zum Beispiel im Fachschaftsrat, von wo aus wir bis jetzt befördern konnten, dass einige Noten abgeschafft und die Möglichkeiten das Studium deutlich zu verlängern sowie ein Teilzeitstudium aufzunehmen, geschaffen wurden.

Zur Zeit steht dieser Entfaltung des Studiums in erster Linie die sogenannte "Schuldenbremse" entgegen.

Um die Staatsschulden bei den Banken zu bezahlen, sollen unter dieser alle öffentlichen Haushalte gekürzt und kaputtgespart werden.

An der HAW werden ab diesem Jahr jedes Jahr vier Millionen Euro "gespart", wenn wir nicht mehr dagegen unternehmen. Professuren würden gekürzt werden – bei der Sozialen Arbeit allein acht Stellen, was einem Viertel des Gesamtkollegiums entspräche – Räume und Ausstattung werden jetzt schon nicht mehr saniert, die Studierendenanzahlen werden gesenkt statt sie zu steigern.

Um gegen diese zerstörerische Entwicklung, die alle öffentlichen Haushalte von der Kita, über die Schule bis zum Krankenhaus trifft, eine positive Perspektive sinnvoller staatlicher Mehrausgaben für komfortablen öffentlichen Wohnraum, sozial offene Bildungsstätten, Kultureinrichtungen und öffentliche solidarische Gesundheitsversorgung zu schaffen, haben die Hamburger Studierendenschaften die Kampagne "Verbesserungen beginnen...mit der Beendigung von Verschlechterungen" ins Leben gerufen.

Diese soll Ausgangspunkt der Überwindung der Schuldenbremse und einer positiven Entwicklung in den Hochschulen und in der Stadt sein.

Wir wollen alle ermuntern, an diesen Entwicklungen mitzuwirken und zu unseren Sitzungen zu kommen, die immer Dienstags ab 15 Uhr im Raum 0.15 stattfinden.

Morgen Abend beginnen wir anläßlich des Erstarkens rechter Kräfte in Europa – von Frankreich über Großbritannien bis zur Ukraine – wie mit der AfD auch in Deutschland unsere Filmreihe gegen Rechts mit dem Film "Wir Wunderkinder", in der wir uns die Geschichte rechter gesellschaftlicher Haltungen aneignen wollen, um Schlüsse für die Hochschulen und die Soziale Arbeit zu ziehen.

Ihr findet die Einladungsflyer auf euren Stühlen.

Dazu seit ihr ebenfalls morgen um 18 Uhr in den Raum 0.15 eingeladen.

In diesem Sinne wünschen wir euch als Fachschaftsrat einen erhellenden und befreienden Semesterbeginn.