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Vorwort

 

 

 

Die Profession der Sozialen Arbeit kann auf eine lange Tradition der stetigen Weiterentwicklung seit der Gründung einer ersten Ausbildungsstätte (Soziale Frauenschule, in Berlin, 1908) zurückblicken. In Hamburg lässt sich der historische Prozess der Professionalisierung von der Gründung des sozialpädagogischen Instituts (1917) bis heute gut nachvollziehen - im April dieses Jahres wurde in diesem Sinne das 100- jährige Jubiläum des Departments Soziale Arbeit der HAW Hamburg gefeiert!

 

 

 

Nach der Befreiung vom Faschismus und in Gegnerschaft zur Deformierung der Sozialen Arbeit zur Entwürdigung, Degradierung bis hin zur Ermordung von Menschen, an der „Volkspflegerinnen und -pfleger“ auch in Hamburg mitwirkten, entwickelte die Soziale Arbeit u.a. den Anspruch einer Menschenrechtsprofession. Seit damals ist bis heute die stetige Auseinandersetzung und Reflexion der gesellschaftlichen Rolle und Verantwortung und einer entsprechenden steigenden wissenschaftlichen Fundierung der Profession zentral. Seit längerem kristallisiert sich in der Sozialen Arbeit eine Sozialarbeitswissenschaft heraus mit entsprechenden Theorien der Sozialen Arbeit, so dass die Soziale Arbeit eine eigenständige Profession und Disziplin darstellt.

 

 

 

International schlug sich das Engagement der Akteure der Sozialen Arbeit in einer Definition vom internationalen Zusammenschluss der Profession Sozialer Arbeit (International Federation of Social Workers) nieder: “Social work is a practice-based profession and an academic discipline that promotes social change and development, social cohesion, and the empowerment and liberation of people. (...)“ (IFSW Juli 2014)

 

 

 

Die Pläne der FHH einen „dienstherreneigenen Studiengang“ (so im Koalitionsvertrag von SPD und Grünen, 2015) einzurichten, gehen an diesen historischen Auseinandersetzungen und der Entwicklung der Profession und Disziplin, den international entwickelten Ansprüchen der Sozialen Arbeit und auch den aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen völlig vorbei, bzw. torpedieren diese. Die Einführung eines Studienganges, der den Schwerpunkt auf Verwaltung im Sozialen legt und u.a. kulturell-pädagogische und wissenschaftliche Module aussortiert, würde vor dem Hintergrund der fachlichen und interdisziplinären Verengung eine Rückentwicklung der Akademisierung/Professionalisierung und der Studienbedingungen bedeuten.

 

 

 

Zur angeblichen Motivation dieser Pläne möchten wir betonen, dass der Fachkräftemangel keine „Naturkatastrophe“ ist, sondern politisch erzeugt wurde. Zu den Hauptgründen zählt die Austeritätspolitik und ihre Auswirkungen. Die Soziale Arbeit ist von der Kürzungspolitik doppelt betroffen: Auf der einen Seite geht es ALLEN Menschen schlechter, wenn an Bildung, Sozialem, Kultur und Gesundheit gespart wird (Verschärfung der Sozialen Ungleichheit). Es werden mehr Menschen dazu gedrängt, Hilfen der Sozialen Arbeit in Anspruch zu nehmen. Auf der anderen Seite ist die Soziale Arbeit in ihrer Qualität selbst betroffen, indem an ihren Einrichtungen, dem Personal, den Ressourcen und auch an den Hochschulen gekürzt wird und somit an der Bildung qualifizierter Fachkräfte. Auch die Weiterentwicklung der Theorien Sozialer Arbeit und deren Ausrichtung auf die aktuelle gesellschaftliche Situation kommt durch Einschränkungen in Forschung und Lehre unter die Räder. Momentan können Hochschulen mit ihren knappen Ressourcen nur knapp 7 % (WiSe16/17) der eigentlich zulassungsberechtigten Studieninteressierten (gerade noch) versorgen. Spätestens an den flott mobilisierbaren Geldmengen für z.B. die versuchte Austragung der Olympischen Spiele, ein Musikpalais namens Elbphilharmonie, die Austragung des G 20 Gipfels in Hamburg (usw.!) wird deutlich: Das nötige Geld zur sofortigen Beendigung dieser sozial- und gesellschaftspolitischen Schieflagen ist da – hinter den knappen Mitteln für die sozialen Aufgaben der Stadt stecken politische Entscheidungen.

 

 

 

Konfrontiert mit sich zuspitzenden sozialen Missständen ist die FHH gedrängt zu reagieren, da immer mehr Menschen ihren Unmut darüber ausdrücken. Doch anstatt die Ursachen des Übels an der Wurzel anzugreifen, geht es nur um Symptombekämpfung. Auch wenn der Eindruck geweckt werden soll, die FHH würde lösungsorientiert arbeiten, verschleppt sie das Problem nur weiter, um die aktuelle Kürzungspolitik eine weitere Runde aufrechtzuerhalten. Um die Misere zu überwinden braucht es mutige und kluge Köpfe in den sozialen und kulturellen Einrichtungen, im Bildungs- und Gesundheitswesen, sowie in der Infrastrukturpolitik – und deren umfassend bedarfsgerechte Finanzierung! Das Vorhaben der FHH mit der Einrichtung des „dualen Studiengangs Soziale Arbeit“ schafft in keinem dieser Bereiche Abhilfe, sondern verstärkt die Problematik noch, da die generell unzureichenden Rahmenbedingungen im Ausbildungsbereich Sozialer Arbeit damit nicht behoben werden.

 

 

 

Wir lehnen diesen Studiengang gänzlich ab und möchten dafür folgende Punkte genauer ausführen:

 

 

 

 

 

Undemokratisches Vorgehen der Verantwortlichen der FHH:

 

 

 

Zuerst möchten wir kritisieren, wie die FHH versucht hat, ihre Pläne umzusetzen: Mitglieder des Departments Soziale Arbeit stießen „zufällig“ auf den entsprechenden Absatz im Koalitionsvertrag (S.15) und wurden so auf das Vorhaben aufmerksam. Das zeugt nicht von einem offenen, kooperativen Weg, der mit den Hochschulen eingeschlagen werden sollte.

 

 

 

Mitglieder des Departments Soziale Arbeit sind schon zu früheren Zeitpunkten auf die Zuständigen der FHH zugegangen, haben vor einem steigenden Problem des Fachkräftemangels gewarnt und höhere Kapazitäten für Studienplätze eingefordert. Dennoch kamen z.B. im Wintersemester 2016/17 3.163 Bewerbungen auf 200 Studienplätze (knapp 16 Bewerber pro Platz). Allein dieses schon lange von den Verantwortlichen der FHH hingenommene Missverhältnis reicht aus, um den Verdacht zu entwickeln, dass es nicht wirklich um eine vernünftige Antwort auf Herausforderungen in der Sozialen Arbeit und einem Fachkräftemangel geht, sondern andere politische Interessen verfolgt werden. Was spräche sonst dagegen, die Ressourcen der bestehenden Studiengänge an der HAW Hamburg und der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit & Diakonie zu erhöhen?

 

 

 

Weiter ist zu mahnen, dass die Autonomie der Hochschulen, die Freiheit von Wissenschaft und Forschung, eine hohe demokratische Errungenschaft ist - auch als Konsequenz aus der Befreiung vom Faschismus und der Gleichschaltung der Hochschulen. Alle Hochschulmitglieder, als Teil der Gesellschaft und öffentlicher Verantwortung, sollen die Inhalte von Lehre, Wissenschaft und Forschung zu Gunsten gesellschaftlicher Problemlösungen weiterentwickeln. Alle Versuche, „von oben“ in die Angelegenheiten der Hochschule hinein regieren zu wollen, weisen wir daher energisch zurück. Vor diesem Hintergrund wehren wir uns gegen die Erpressung der FHH, die Soziale Arbeit dazu zu drängen, eine Aufgabe und Funktion zu übernehmen, die das Department bereits begründet zurückgewiesen hat: An der Einrichtung des dualen Studienganges bestanden von Beginn an erhebliche Zweifel und das Department suchte die - leider nicht erfolgreiche - fachliche Auseinandersetzung mit der FHH. Die anschließende Aussage der FHH, sie würden eine Berufsakademie/ „etwas Eigenes“ einrichten, wenn sich die Soziale Arbeit an der HAW weiter verschließen würde, können wir nicht anders als eine Drohung auffassen. Die FHH versucht sich damit machtpolitisch gegen vernünftige Argumente und gegen die demokratische Meinungsbildung des Departments Soziale Arbeit durchzusetzen.

 

 

 

 

 

Entfernung vom fachlichen Kern der Sozialen Arbeit

 

 

 

Die Einrichtung eines Sonderstudienganges/ dualen Studiums bedeutet eine Entfernung vom fachlichen Kern der Profession: Diese besteht gerade in der Breite und nicht in einer Spezialisierung und Einschränkung auf ein Tätigkeitsfeld.

 

Damit einher geht die Entwicklung der Fähigkeit, komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge zu durchschauen, im Alltag Handlungsperspektiven zu erkennen und in der Spezifik zu einer Lösung beizutragen.

 

Die Herausforderungen in der Praxis der Sozialen Arbeit, und damit auch die Entstehung und Entwicklung spezifischer Tätigkeitsfelder, sind von sozialen und politischen Entwicklungen geprägt. Es kommt auf grundlegende Fähigkeiten an, wie z.B. Entwicklungen analytisch begreifen zu können, einen eigenen Standpunkt zu entwickeln und in diesem Sinne auch gestaltend in die Praxis eingreifen zu können. Ein analytisches Verständnis z.B. der sozialen Ungleichheit und ihrer Gewordenheit ist unabdingbar, um gemeinsam die Lebensbedingungen der AdressatInnen und der Gesellschaft insgesamt verbessern zu können. Nur in Erkenntnis der eigenen und gesellschaftlichen Lage kann ein persönlicher, eingreifender Standpunkt entwickelt werden. Reduziert man diese umfassende Bildung auf das, was oberflächlich gesehen für ein bestimmtes Tätigkeitsfeld besonders passgenau gebraucht würde, geht das Verständnis von Zusammenhängen und möglichen Handlungsalternativen verloren. Ein generalistischer Ansatz ist nicht etwa „nicht mehr zeitgemäß“ o.ä., sondern, gemäß der oben erwähnten Entwicklung einer akademischen Profession, bewusster Kern der Wissenschaft und des Studiums der Sozialen Arbeit.

 

Studierende und AbsolventInnen der Sozialen Arbeit mit selbstbewusstem Standpunkt können „unbequem“ und kritisch gegenüber politischen Zielsetzungen sein. Das müssen sie auch: eine wissenschaftliche Durchdringung sozialer Probleme bezieht politische Entwicklungen, also strukturelle Bedingungen der Entstehung von Problemlagen mit ein und nimmt damit eine wichtige Verantwortung für nötige sozialpolitische Veränderungen wahr. Interessenskonflikte werden benannt und damit bearbeitbar.

 

 

 

Vor diesem Hintergrund bewerten wir die Pläne der FHH als einen weiteren Versuch, die Inhalte, Methoden und Akteure der Sozialen Arbeit steuern zu wollen und damit als einen Versuch, sie handzahm zu machen:

 

Mit der im Rahmen des „New Public Management“ politisch vorangetriebenen Standardisierung und Pauschalisierung Sozialer Arbeit wird versucht, Soziale Arbeit in ein Output-orientiertes Produkt zu verpacken („schneller, möglichst schematisch, billiger“). Auf eine fachlich-theoretische Herleitung von Praxis soll in diesem Sinne verzichtet werden. An die Stelle von bewusstem und hinterfragenden Handelns sollen Checklisten und Softwares treten.

 

Standardisierungen, orientiert an einer aus der Industrie stammenden Logik (jüngstes Beispiel: TÜV Siegel für das Jugendamt!) haben nichts mit Qualität, sondern mit einem Interesse an Einsparungen im sozialen Bereich zu tun. Der Sonderstudiengang ist der Versuch, diese Änderungen noch stärker zu verfolgen und zu festigen, in dem die Studieninhalte auf eine solche technokratische Logik orientiert werden.

 

 

 

Eine solche bildungsferne Orientierung ist immer wieder und ausreichend von Praxis und Fachwelt kritisiert worden. Die Stellungnahme der LAG ASD (http://dbsh-hamburg.de/2017/09/dienstherreneigener-studiengang-soziale-arbeit-im-oeffentlichen-dienst/) schildert gut, welche Änderungen im ASD eigentlich nötig wären und, dass das Vorhaben der FHH dagegen zu einer Verlängerung und Verschärfung der Probleme beitragen würde.

 

 

 

An der Berufsakademie Lüneburg e.V. (mit 2 Dualen Studiengängen: BA BWL, BA Soziale Arbeit), sowie an der Dualen Hochschule Baden- Württemberg finden sogenannte Pilotprojekte für einen solchen dualen Studiengang statt (es werden sogar schon Studierende rekrutiert). Eine Betrachtung der Institutionen bestätigt unsere Kritik: Auf der Homepage der letzteren heißt es: „Als Mitglieder der DHBW wählen die Unternehmen und sozialen Einrichtungen ihre Studierenden selbst aus. Dadurch ist sichergestellt, dass die jeweiligen Studienplätze passgenau mit den am besten geeigneten Kandidaten/-innen besetzt werden“. Die Nähe zur BWL, sowie eine Ausrichtung der Inhalte auf Kunden - die Arbeitgeber als Auftragsgeber - sprechen gegen eine demokratische und wissenschaftliche Orientierung in gesellschaftlicher Verantwortung.

 

 

 

Im Weiteren würde dieser Sonderstudiengang zu der schon vorhandenen großen Zersplitterung und unüberschaubaren Studienlandschaft der Sozialen Arbeit beitragen, welche von Wissenschaft und Praxis kritisiert wird.
Auch ist zu befürchten, dass ein Sonderstudiengang für Staatsangestellte (verbeamtete!) SozialarbeiterInnen ein unfruchtbares Verhältnis zwischen öffentlichen und freien Trägern zur Folge hat. Es würde aufgrund des Status zu einer Spaltung der Beschäftigten der Sozialen Arbeit untereinander kommen, sowie zu einer erschwerten Beziehung der Beschäftigten zu den AdressatInnen. Durch ihr direktes Mandat von der FHH würde sich ihr Kontroll- und Verwaltungsauftrag verstärken, die Interessen der FHH durchzusetzen, ein Vertrauensaufbau und das Verfolgen der Interessen der AdressantInnen würde dadurch so gut wie verunmöglicht. Letztendlich beißt sich das lang entwickelte Berufsbild mit der Vorstellung von verbeamteten Beschäftigten der Sozialen Arbeit.

 

 

 

 

 

Studierende und Wissenschaftlichkeit

 

 

 

Wissenschaftliche Qualität bedeutet nicht nur die Unabhängigkeit der Lehre und Forschung, sondern auch die Möglichkeiten der Studierenden, eine unabhängige Meinung/Haltung auf wissenschaftlicher Basis entwickeln zu können: Reflexion der eigenen Wissenschaftsdisziplin, der eigenen Rolle in einer späteren Praxis, kritikfähige Persönlichkeitsentwicklung.

 

Eine solche akademische Bildung ist eng verknüpft mit der demokratischen Verfasstheit der Hochschule und dem Engagement in der Verfassten Studierendenschaft. Gerade diese Strukturen an einer Hochschule befördern das Entwickeln einer mündigen Persönlichkeit. Hier wird nicht nur über „den Tellerrand“ der eigenen Disziplin geschaut, die Studienbedingungen im Sinne gelingenden Studierens verbessert, Stellung bezogen zu den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen usw., sondern auch in einen kooperativen Austausch zur Praxis gegangen. Dies geschieht während der Arbeit im Fachschaftsrat, im Studierendenparlament, im AStA, sowie in der Akademischen Selbstverwaltung. In diesem Sinne sind die Beteiligungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der Studierenden – als Mitglieder der Hochschule – kein „nettes Extra“ sondern elementare Bedingung und Teil von Wissenschaftlichkeit.

 

 

 

Diese Voraussetzung wissenschaftlicher Qualität findet keine Berücksichtigung und Erwähnung in den Konzepten für den „Dienstherreneigenen Studiengang“, im Gegenteil wird die Teilnahme daran erschwert. Die Abhängigkeit vom späteren Arbeitgeber schränkt bereits im Studium die freie Meinungsbildung und -äußerung ein. So engagieren sich weniger Studierende in den Gremien der Verfassten Studierendenschaft und der akademischen Selbstverwaltung. Noch mehr Zeitdruck und eine strikte Durchplanung des Studiums, sowie (befürchtete wie bestehende) Ablehnung der Selbstverwaltung seitens der Arbeitgeber sind Gründe dafür. Diese Situation der direkten Abhängigkeit schwächt bereits im Studium die Möglichkeiten der Interessenvertretung der Studierenden. Es wird strukturell nahegelegt, institutionell verengt und unreflektiert zu denken, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Im Sinne der oben schon näher ausgeführten möglichen Interessensgegensätze von politischer Orientierung und fachlicher Haltung fragen wir uns: Ist diese Orientierung auf brave, unkritische (gar unterwürfige), statt aufmerksame und kritisch- mündige Studierende gewollt?

 

Ebenso lehnen wir die Produktion von Studierenden 1. und 2. Klasse ab, zu der es bei Einführung des dualen Studiengangs aufgrund von Verbeamtung, Bezahlung und Bestätigung der Immatrikulation nicht durch die Hochschule, sondern durch die FHH, kommen würde.

 

 

 

 

 

Keine soziale Verbesserung für Studierende

 

 

 

Bekannt ist, dass Deutschland eines der Länder ist, in dem verstärkt vom Geldbeutel der Eltern abhängt, wie die Bildungsmöglichkeiten der Kinder aussehen. Ein Großteil der Studierenden muss neben dem Studium prekären Beschäftigungen nachgehen. Doch duale Studiensysteme sind für dieses Problem keine Lösung. Sie haben kein vordergründiges Interesse daran, Studierenden ein gesichertes Studium zu ermöglichen, sondern nutzen vielmehr die soziale Lage der Studierenden aus, um sie schon früher - passgenau - an sie zu binden. Eine umfassende soziale BAföG-Reform würde dagegen viel bewirken.

 

 

 

Dazu kommt: Seit der Einführung des BA/MA Systems und damit einer starken Verschulung des Studiums unter erhöhtem Leistungsdruck gibt es Untersuchungen über das Anwachsen psychischer Erkrankungen der Studierenden (siehe z.B. Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse 2011, 2015). Diese Komponenten sind in Dualen Studiensystemen noch verstärkt: Z.B. ist es in dem vorgelegten Entwurf vorgesehen, die gesamte vorlesungsfreie Zeit mit Praxisphasen zu füllen. Durch einen 50 %igen Praxisanteil, und ein trotzdem nur 7 Semester langes Studium, müsste mehr in kürzerer Zeit gelernt werden. In diesem Sinne ist mit einem Ansteigen der Probleme zu rechnen und nicht mit einer Verbesserung von Bildungsmöglichkeiten.

 

 

 

 

 

Zu wenig Praxis, zu viel Theorie?

 

 

 

Wir bekräftigen, dass ein wissenschaftliches Studium nicht dazu da ist, direkt auf den Einsatz in einem spezifischen Betätigungsfeld vorzubereiten. Das generalisierte Studium bereitet mit einem exemplarischen Lernverständnis auf eine Vielzahl an Tätigkeitsfeldern vor. Es ist nicht angedacht, mit dem Studienabschluss bereits anerkannte/r SpezialistIn zu sein, im Gegenteil. Durch das angeeignete Lernverständnis und breit gefächerte Grundlagenwissen können sich die AbsolventInnen anschließend in das spezifische Arbeitsfeld einarbeiten. Die von der FHH kritisierten Einarbeitungsphasen sind demnach kein Manko, sondern eine sinnvolle historisch gewachsene Praxis. Außerdem: Im Sinne einer wissenschaftlich fundierten Sozialen Arbeit dürfen theoretischer Bezug und Praxiserfahrung nicht gegeneinander ausgespielt werden.

 

 

 

Die Vorschläge dazu im Konzept des Studiengangs der FHH würden in der Konsequenz Verschlechterungen für Theorie und Praxis bedeuten:

 

Das Theorie-Praxis-Verhältnis ist in einem ständigen Prozess der Weiterentwicklung. Unproduktiv und stagnativ wird dieser nur, wenn die Ressourcen für die Hochschulen und für die Praxis so verknappt werden, dass diese keine Gestaltungsmöglichkeiten mehr haben. Wenn z.B. keine personellen Ressourcen für eine Einarbeitung vorhanden sind und diese somit für die Beschäftigten einen zusätzlichen Arbeitsaufwand bedeuten würde. Ebenso wenn die Praxiseinrichtungen ihren Aufgaben nur noch unter der festen Einplanung von PraktikantInnen als kostenneutralen Aushilfekräften nachgehen können. Aktuell sind die Praxisphasen an den Hochschulen von Seiten der Politik so mangelhaft ausgestattet, dass die sowieso schon prekäre Lage der Studierenden sich noch zuspitzt. Die „Aufwandsentschädigung“ wurde auf lediglich 195 € Euro monatlich zusammengedampft, gleichzeitig bleibt den Studierenden nur noch nachts und am Wochenende Zeit zum Arbeiten – wer kann so gut lernen?

 

Es gibt genug Ideen von Akteuren der Hochschulen und Praxis zur Verbesserung von Praktikum und Übergangsphase in den Beruf. Diese sollten (auch finanziell) unterstützt, statt torpediert werden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ausblick:

 

 

 

Um die von uns angesprochenen Probleme und Herausforderungen angemessen zu bearbeiten, ergeben sich diese zentralen Forderungen:

 

 

 

  • Statt einer Verschärfung der sozialen Probleme: Streichung sämtlicher Regelungen zur Schuldenbremse und Schuldenstopp aus der Hamburger Landesverfassung (und damit die Begrenzung der öffentlichen Ausgaben auf 0,88 Prozent) damit das Parlament die Ausgaben für Soziales, Bildung, Gesundheit, Wissenschaft, Infrastruktur und Kultur bedarfsgerecht erhöhen und für entwicklungsförderliche Bedingungen für die Menschen in Hamburg (und darüber hinaus!) beschließen kann. Die genannten Bereiche dürfen nicht weiter gegeneinander ausgespielt werden.

 

 

 

  • Statt ökonomische und inhaltliche Steuerung der Praxis der Sozialen Arbeit: Ausreichende Investitionen, um einen Rahmen für die Praxis und Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen, der den Ansprüchen einer ganzheitlich orientierten Sozialen Arbeit in ihrer komplexen Auftragsgestaltung gerecht werden kann

 

 

 

 

 

  • Statt des Aufbaus eines Sonderstudienganges: Die Ressourcen der beiden bestehenden Studiengänge (HAW Hamburg, EVH) müssen deutlich ausgebaut werden, ebenso müssen die Praxisstellen die nötigen Ressourcen bekommen, um PraktikantInnen gut aufnehmen zu können und neuen KollegInnen eine Einarbeitung zu ermöglichen.

 

 

 

·         Statt die Hochschulen fiskalisch motiviert zu steuern: ideelle und finanzielle Unterstützung der Verbesserungs- und Veränderungsanliegen seitens der Hochschule und damit Wahrung der Hochschul-Autonomie

 

 

 

·         Statt behindernde, selektive Studienbedingungen: Herstellung von Rahmenbedingungen, in denen Studierende frei von existenzieller Bedrängung lernen, forschen und sich entwickeln können. Wir fordern eine umfassende soziale BAföG-Reform, bedarfsgerechte Finanzierung des Studierendenwerkes (Essen, Wohnen etc.), die Entrestriktionierung des HmbHGs (z.B. Abschaffung der Zwangsexmatrikulation, Festlegung auf BA/MA, Verlängerung der Regelstudienzeit), Achtung und Ermöglichung der Interessenvertretung der Studierenden!

 

 

 

  • Statt einschränkender Praxis- Phasen: Schaffung eines Rahmens, welcher ein gutes Lernen in der Praxis befördert. Studierende müssen unbedrängt von existentieller Not ihre berufliche Praxis (kennen)lernen und reflektieren können (faire und angemessene Bezahlung)

 

 

 

  • Statt die Fachlichkeit der WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen der Sozialen Arbeit und die demokratischen Strukturen der Hochschulen zu übergehen: Achtung der demokratischen Verfasstheit der Hochschule, echte Verbesserungen wird es nur in einem demokratischen, kooperativen Prozess zwischen Politik, Praxis und Hochschule geben!

 

 

 

 

 

 

V.i.S.d.P.: FSR Soziale Arbeit, Alexanderstraße 1, 20099 HH;eMail: fsr_sozialearbeit@haw-hamburg.de

November 2017